Werkstattbesuch: Gegen die offenkundige Schönheit
Die Hauptstraße von Azusa ist eine öde Meile in einem dieser charakterlosen, austauschbaren Vororte von Los Angeles. Supermärkte, Drive-Ins und unzählige Gebrauchtwagenhändler wechseln sich in einer schier endlosen, heruntergekommenen Ladenzeile ab. Auch Chabott Engineering fügt sich ein in dieses Bild. Ein verrostetes Rolltor hängt schief in der Führung; an der Dachrinne und der Eingangstür zum Büro blättert der Lack ab.
"Schön, dass Sie uns gefunden haben", sagt Shinya Kimura, der Besitzer von Chabott, und gibt mir die Hand. Das ist die erste Überraschung: Kimuras Händedruck ist weich und sanft, nur angedeutet wie die knappe Verbeugung. Seine Unterarme sind nicht tätowiert - Kimura ist keiner der amerikanischen Motorraddesigner-Machos, kein Jesse James, kein Möchtegern-Star, der gerne mit einem gepiercten Porno-Model auf dem Schoß Hof hält.
Der Weg in die Garage, in der Kimura seit fünf Jahren Motorräder zu seltenen und seltsamen Skulpturen umbaut, ist beschwerlich. Es ist der Weg durch einen Schrottplatz. Von fast jedem Dollar, den er mit seinen spektakulären Umbauten verdient, kauft er gestrandete Wracks: alte Harley-Davidsons und Indians, bevorzugt aus den vierziger Jahren. Englische Triumphs aus den Sechzigern, japanische Einzylinder aus den Siebzigern. "Ich bin wohl ein hemmungsloser Sammler, das ist eine meiner Leidenschaften," sagt der Japaner und schaut dabei, als wolle er sich dafür entschuldigen.
Alte Harleys hatten es Kimura schon zu Hause im japanischen Aichi angetan. Doch sein erstes Motorrad, das er im Alter von 15 Jahren umbaute, war eine kleine Zweitakter-Suzuki mit 50 Kubik. Die über 300 Harleys, die er später für seine frühere Firma Zero Engineering mit einem Team von sechs Mechanikern zusammenbaute, begründeten einen Ruf, der ihn weit über die japanische Szene hinaus bekannt machte. "Es hat mich irgendwann müde gemacht, immer das gleiche Motorrad zu bauen. Ich wollte neue Inspiration, deshalb bin ich in die Vereinigten Staaten gegangen."
"Von Beruf bin ich eigentlich Insektenforscher. Ich habe Entomologie studiert," sagt Kimura. Er stammt aus einer traditionellen japanischen Familie, sein Vater war Dichter, seine Mutter Malerin. Aufgewachsen ist Kimura bei seinem Großvater. "Wir standen uns sehr nahe, bis er starb, als ich zehn Jahre alt war." Sein Großvater war einer der ersten Japaner, der eine amerikanische Indian besaß.
Kimuras Werkstatt ist ein Sammelsurium aus Motorrad-Baustellen. Es gibt nur wenige straßenfertige Maschinen, an den meisten schraubt und baut Kimura von Zeit zu Zeit herum. Eine Indian von 1920 ist einige der wenigen fahrbereiten Exemplare. Eine gedrechselte Holzkiste ersetzt die Satteltaschen; ansonsten ist der Oldtimer fast originalgetreu. Kimura hat die Indian 2010 bei einem 3000-Meilen-Rennen quer durch die Staaten gefahren: "Mein Großvater wäre stolz gewesen," sagt er leise.
In seiner Werkstatt in Azusa arbeitet Kimura in seinem eigenen Takt, in seiner eigenen Ordnung. Geregelte Arbeitszeiten kennt er nicht, oft schläft er auf einer Empore über den Werkbänken. Er besitzt moderne Werkzeugmaschinen, aber arbeitet lieber mit altem Gerät. Teile für Verkleidungen und Aluminiumtanks treibt er mit dem Hammer aus 4 Millimeter dicken Platten. Wenn ein Werkzeug nicht gebraucht wird, kommt es sofort zurück an seinen angestammten Platz. Sein Reich ist übervoll, überall liegen Bauteile, aber Kimura hat offensichtlich ein fotografisches Gedächtnis. Chaos ist Chabott nur für Besucher und seine Kunden, die er sich sorgsam aussucht.
Motorräder baut Kimura nur noch so, wie es ihm gefällt, und für Käufer, mit denen er auf einer Wellenlänge schwingt. "Ich habe keine fertige Idee oder eine Zeichnung, wenn ich mit einem Motorrad anfange. Wenn ich von Anfang an wüsste, was es am Ende gibt, wäre das langweilig." Kimura spricht, so gut es in seinem gebrochenen Englisch geht, lange mit einem Auftraggeber. "Nicht über Motorräder, sondern über ihn. Über Essen, über Musik, über sein Leben. Ich muss sie verstehen, und sie müssen mir vertrauen." Einen Zeitpunkt, an dem der Umbau fertig sein wird, nennt Kimura nie. Er gibt Motorräder nur weg, wenn das Werk seinem Empfinden nach vollendet ist.
Das Problem des Käufers: Seine Umbauten sind eigentlich nie fertig. Die MV Agusta 750 S America, die mitten in der Werkstatt steht, hat er für einen japanischen Sänger gebaut, der schon zwei andere Maschinen von ihm gekauft hat. Kimura hat noch ein Problem mit dem polierten Aluminium-Teil, das hinter dem Vergasern den Rahmen verdeckt. Er hat es schon drei Mal in Handarbeit angefertigt, aber ist mit dem Resultat bisher nicht zufrieden. Er unterbricht unser Gespräch und wechselt in aller Seelenruhe das Blech, ganz so, als säße er in einem Elfenbeinturm beim wissenschaftlichen akkuraten Aufspießen von Insekten.
Kimuras Kreationen tragen Namen wie Dorn oder Silberwespe und stehen ganz in der Tradition der japanischen Wabi-Sabi-Ästhetik - nicht die offenkundige Schönheit ist das Erstrebenswerte, nicht der unmittelbare Glanz der Sonne, sondern der gebrochene des Mondes. Kimura beschreibt das ähnlich: "Insekten sind nicht für alle Menschen schöne Tiere. Mir gefallen sie, mir machen sie Spaß."
Zwei Motorräder pro Jahr
Zum Spaß lässt Kimura die Flash laufen, eine Ducati mit 750 Kubik-Königswellen-Motor von 1974. Er hat sieben Monate daran gebaut. Der Motor brüllt und rüttelt am Ständer, Kimura strahlt über beide Ohren. Auch mit abgestelltem Motor wirkt das Fahrzeug noch schnell, massiv, und eigen. Am Motor hat Kimura nichts verändert, ihn nur sorgfältig überholt. Seine Kunst liegt in den Details, den handgedrehten Schrauben, den gepunzten Blechen und luftigen Armaturenhalterungen, die den alten L-Twin selbst im Stand fliegen lassen wie eine Libelle. "Es war schön, die Maschine zu bauen", sagt Kimura.
Sammler bezahlen für Maschinen aus dem Hause Chabott Engineering zwischen 75.000 und 100.000 Dollar. Kimura sagt, dass er zwei Motorräder pro Jahr fertig stellen muss, um zu leben. In seiner Werkstatt, in seiner Welt.
Handarbeit: Ein neuer Tank ist zu Beginn nur ein Stück Aluminiumblech, aus dem Kimura in stundenlanger Detailarbeit das Werkstück formt.
MV Augusta 750 S America: Ein japanischer Pop-Sänger wartet seit Monaten, dass die letzte Schraube sitzt. Wann der Umbau fertig sein wird, weiß Kimura im Voraus nie. Er gibt Motorräder nur weg, wenn das Werk seinem Empfinden nach vollendet ist.
Traditionalist: Kimura besitzt moderne Werkzeugmaschinen, aber arbeitet lieber mit altem Gerät.
Skulptur: Diese Vergaserklappe war im früheren Leben ein Rohrverschluss in Chicago.
Spielplatz: Der Eingang zu Chabott Engineering ist zugleich das Ersatzteillager. Von fast jedem Dollar, den er mit seinen spektakulären Umbauten verdient, kauft Kimura gestrandete Wracks: alte Harley-Davidsons und Indians, bevorzugt aus den vierziger Jahren.
Ducati 750 von 1974: An der "Flash" sind rund hundert Teile handgefertigt, sieben Monate hat Kimura an dem Motorrad gebaut.
Gute Stube: Die Empore über den Werkbänken ist Kimuras Wohnzimmer mit Schlaf-Futon.
Kimuras Welt: Werkstatt, Werkzeuge, Werkstücke. Kimura ist keiner der amerikanischen Motorraddesigner-Machos, kein Jesse James, kein Möchtegern-Star, sondern ein stiller, von seiner Leidenschaft besessener Künstler.
Träumerei: Kimuras Designs machen technisch selten Sinn. Sie tragen Namen wie Dorn oder Silberwespe und stehen ganz in der Tradition der japanischen Wabi-Sabi-Ästhetik - nicht die offenkundige Schönheit ist das Erstrebenswerte, nicht der unmittelbare Glanz der Sonne, sondern der gebrochene des Mondes.
Ducati Flash: Stilbrüche sind erwünscht; Kimura verbaut poliertes Aluminium zu billigen Plastikschlaufen.
Gewinner-Typ: Diese Indian von 1920 ist eines der wenigen fahrbereiten Exemplare in Kimuras Werkstatt. Eine gedrechselte Holzkiste ersetzt die Satteltaschen; ansonsten ist der Oldtimer fast originalgetreu. 2010 fuhr Kimura der Maschine den Cannonball - Coast to Coast, ein 3000-Meilen-Rennen quer durch die Vereinigten Staaten.
Heavy Metal: Auf der Basis einer 1947er Harley-Davidson baute Kimura im Jahr 2009 die Neptune.
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