Tradition bewahren, indem man ein Auto baut? Diese italienische Methode ist besonders lustvoll.
Das Licht am Comersee taucht die Landschaft in einen lieblichen Glanz. Die Luft wirkt frisch und klar und rein. Alles scheint möglich, nichts wirkt schwierig, gar unmöglich. Dabei trinken wir nur einen Kaffee. Unweit ist ein kleiner, roter Sportwagen parkiert. Der Mann, der ihn gebaut hat, sitzt neben mir. Wache, helle Augen blicken über die Strasse weg hinüber zum Auto. Es scheint, als ob sich Leonardo Frigerio selbst nie daran gewöhnen würde, dass da nicht ein Wagen irgendeines Herstellers steht, sondern ein Auto, das er selber gebaut hat, zusammen mit seinem Bruder, dem zweiten Frigerio, dem zweiten F, dem zweiten Effe. Ein Auto bauen, das lässt sich sehr leicht so dahin sagen: Auto bauen, Sandkuchen bauen, Lego bauen. Was heisst denn das schon, ein Auto bauen? Man geht hin und fängt damit an, na klar. Genauso schildert es Leonardo Frigerio. Als er im Februar 2014 die Idee mit seinem Bruder Vittorio hatte, zögerten sie nicht lange. Mit Stahlröhrchen und handgeformtem Aluminiumblech liessen sie ihre Vorstellung einer hinreissenden, sehr knapp bemessenen Berlinettakarosserie Realität werden. «Die Röhrchen haben sie mit Hilfe eines Baumes in Form gebracht», bemerkt Leonardo Frigerios Sohn. Wichtig war: Sie haben einfach begonnen. «Das Denken in ein Objekt verwandeln», sagt Leonardo Frigerio. 2014 präsentierten sie an der Oldtimermesse Salzburg (A) einen ersten Entwurf. «Wir haben es einfach gemacht, nach dem Beschluss einfach losgelegt», meint Frigerio. «Und wir haben jene mit ins Boot geholt, die noch über das nötige Rüstzeug verfügten. Wer weiss, wie viele Hersteller es alleine in den 1950er- und 1960er-Jahren in Italien gegeben hat? Man nannte sie zwar nur Etceterini, die Übrigen, aber deren Anzahl und Art ist unglaublich. Ihren Ursprung hatten die meisten dieser Marken wie Stanguellini, Siata, Osca, Moretti, Taraschini oder Giannini im Motorsport – ein eigenes Universum und Nährboden für kreative Köpfe und brillante Handwerker.»
Im Motorsport liegt denn auch der Ursprung des Autos der Gebrüder Frigerio, des Effeffe, was nichts anderes heisst als FF, Fratelli Frigerio. Mit einem Alfa Romeo 75 Turbo waren die beiden als Gentleman-Driver unterwegs, etwa bei den 24 Stunden auf dem Nürburgring. Später kam eine Giulia TI Super dazu, nach FIA-Reglement für Tourenwagen vor 1965 aufgebaut und an historischen Rennen in ganz Europa bewegt. Die Officine Frigerio sind seit 1955 als Spezialunternehmen für Elektroanlagen für die Industrie tätig, doch zurück zu den Autos: Irgendwo im Atelier steht mittlerweile auch ein Sprint GTA, ein Original, kein Nachbau. Auch der Effeffe ist kein Nachbau, er ist gemäss seinem Erbauer «ein Concept-Car mit Blick in die Vergangenheit». Mit Vergangenheit meint Leonardo Frigerio nicht einfach eine oberflächliche Betrachtung aus der Sicht von heute, unreflektierte Nostalgie, das Schwärmen für Formen und Lebensart, dieser schnelle, uns im digitalen Zeitalter so geläufige, rasche Ausflug in die Vergangenheit. Die Gebrüder Frigerio meinen damit das tiefgründige Abtauchen in eine Welt, in der nach dem Zweiten Weltkrieg Italiens Industrie dank vieler kleiner Spezialbetriebe, eigenständiger Unternehmer und begabter Handwerker mit unglaublich viel Passion und Wille aus den Trümmern wiedergeboren wurde. Mit minimalen Mitteln, dem, was gerade zur Verfügung stand, bauten kleine Manufakturen Autos. Sie entwickelten eine geniale Gabe, mit vorhandenen Grossserienkomponenten kleine Kunstwerke und mechanische Exzellenz zu erschaffen. Genau dies und nicht weniger war das Ziel der Fratelli Frigerio am Anfang ihres Unterfangens.
«Um das Wissen zu sichern und das Handwerk zu bewahren, sind wir sehr bald auf die Suche nach den richtigen Partnern gegangen. Darunter sind Leute, die sich bereits vor 50 oder gar 60 Jahren mit Automobilen beschäftigt haben, ausgewiesene Kenner, grosse Meister ihres Metiers. Das Chassis hat uns ein Ingenieur berechnet, der beim Flugzeugbauer Dassault arbeitete, der Motor wurde vom ehemaligen Rennfahrer Carlo Facetti präpariert, unser Sattler hat schon für alle grossen Namen gearbeitet», erklärt Frigerio. Wir haben gerade eine unglaublich steile Rampe überwunden und stehen quasi auf dem Dach eines Industriegebäudes in Verano Brianza unweit von Monza. Hinter dem Tor steht, unter einer Blache versteckt, ein geduckter, kleiner Wagen, im rechten Winkel dazu der zuvor erwähnte GTA, auf einem Autolift leuchtet ein knallrotes Gitterrohrchassis, dahinter und an der gegenüberliegenden Wand stehen und liegen Rohre, Eisenprofile, Aluminiumbleche, in einem Gestell sauber eingereihte alte Alfa-Romeo-Hinterachsen, daneben ein V6-Motor mit den berühmten verchromten Ansaugrohren, ein sogenannter Busso-V6, benannt nach seinem Konstrukteur. Das Licht wird eingeschaltet, Fluoreszenzröhren erhellen den Ort in fahlem, bläulichem Licht. An einer Wand, fast an der Decke hängend, kommt die handgehämmerte Front eines Autos zum Vorschein. Der kleine Sportwagen steht nun enthüllt vor uns, das Blechkleid spannt sich sehr knapp über die grossen, fast etwas zu mächtig wirkenden Räder der Berlinetta, typischerweise ein knapp bemessenes, sehr sportliches, zweisitziges Coupé. Ihr Finish ist perfekt, das Auto aber zeigt Spuren des Gebrauchs. «Unsere Berlinetta hat bereits rund 200 Stunden auf der Rennstrecke hinter sich», will sich Frigerio rechtfertigen. Das ist unnötig, das zierliche Auto wirkt damit nur noch echter.
Die Form findet sich selber
Im anschliessenden, grösseren Raum steht ein nacktes Rohrgerippe: «Das wird unser GT-Wagen.» Dünne Röhrchen spannen sich dabei über ein fiktives Chassis, dasselbe steht daneben, aufgebaut aus lasergeschnittenen Rohren, Knotenblechen, Winkeln und Profilen, viele sind zur Erleichterung vollumfänglich gelocht. Das Chassis ist erst geheftet, es wird später vom Spezialisten im Spezialverfahren durchgeschweisst. «Die Methode zur Formfindung ist in etwa diese: Die Achsen samt Position des Motors geben die Grunddimension vor, das Chassis konstruieren wir darum herum. Auf diesem Fundament formen wir den Aufbau, dabei sind Sitzposition und Wohlbefinden im Auto entscheidend. Unsere bisher sechs gebauten Fahrzeuge bieten alle einen erstaunlichen Sitzkomfort. Dann formen wir den Wagenkörper direkt am Objekt mit diesen Rohren. Sie werden gebogen, angepasst, geprüft, korrigiert und dann festgeschweisst. Ja, die Methode erinnert an das Superleggera-Patent der ehemaligen Carrozzeria Touring», beschreibt der Kopf hinter dem Effeffe, Bruder Vittorio Frigerio kümmert sich eher um das Handwerkliche. Danach gilt es, dieses Gerippe mit Aluminium zu belegen, auch das eine Frage des geübten Auges und handwerklicher Fähigkeit. Die Bleche werden gehämmert und auf der Rollenstreckmaschine, dem englischen Rad, in Form gebracht, zur Kontrolle mit Blindnieten festgemacht, dann verschweisst und verschliffen, schliesslich werden die Ränder um die anliegenden Rohre darunter herumgehämmert. In den Türen aber steckt ein Konstrukt aus lasergeschnittenen Spanten, einem Rohr und einer handgedengelten Aussenhaut samt ebenso geformtem Türrahmen, hier kombinieren die Gerüder Frigerio Vergangenheit und Gegenwart.
In der Werkstatt, Atelier ist der bessere Ausdruck, stehen kaum andere Maschinen als in einer Schlosserei oder Spenglerei. Nur dass hier, auf dem Dach einer Fabrik, auf der Fläche eines kleineren bis mittleren Garagenbetriebes, ganze Autos gebaut werden. «Wir machen 80 bis 90 Prozent aller Arbeiten selber, auch die Aufhängungen entstehen hier», präzisiert der Unternehmer. Apropos Aufhängungen: Diese haben es in sich, denn die Radführung und Federung haben sich trotz traditioneller Baumethoden von der Vergangenheit gelöst und sind absolut zeitgemäss.
Mit einer Reduktion der ungefederten Massen und voll verstellbar hat die Vorderachse des Effeffe mit der eines Alfa Romeo nichts gemeinsam, ausser dass die Bremsanlage vom englischen Alfa-Kultspezialisten Alfaholics zugekauft ist. Die Doppelquerlenkerkonstruktion setzt auf innenliegende Feder-Dämpfer-Einheiten, der Umlenkhebel ist zur Höhenverstellung ohne Veränderung der Dämpferfederkennung mit mehreren Lochungen versehen, die Dämpfer sind in Zug- und Druckstufe verstellbar, das Ganze ist in Uniball-Gelenken gelagert, auf der Strasse etwas rau, aber hoch präzis. Die Giulia-Hinterachse des Effeffe Berlinetta, der fertig in der Werkstatt steht, erhält vier Längslenker, ein unten angelenktes Reaktionsdreieck und zu dessen Verstärkung ein zusätzliches Wattgestänge. Mehr Aufwand für eine Starrachse ist kaum möglich. Gehont und geschliffen hat das der 85-jährige Carlo Facetti, bekannter Tourenwagenfahrer für Alfa Romeo und den Rennstall Autodelta, bei Testfahrten auf der Rennstrecke.
Trotz dieses Aufwands wiegt die Berlinetta rund 800 Kilogramm. Auf Dinge wie Bremskraftverstärker oder gar Servolenkung oder ähnliche Helferlein verzichtet der Effeffe. Dennoch wirkt der Innenraum ganz und gar nicht wie jener eines spartanischen Rennwagens. Die Schalensitze im Stil der 1960er-Jahre sind eine Eigenkonstruktion aus Aluminium und mit feinstem Leder beschlagen. Der Himmel des Double-Bubble-Dachs ist mit einer Art Wollstoff ausgeschlagen. Nichts wirkt handgestrickt an diesem Auto. Handgemacht, ja, aber mit Sorgfalt und Sachverstand.
Leonardo Frigerio erweckt den – verwenden wir den guten, alten Begriff – frisierten Motor der Berlinetta mit kurzen Gasstössen zum Leben, nachdem das dumpfer werdende Surren der Benzinpumpe verraten hat, dass die Schwimmerkammern der beiden 45er-DCOE-Weber-Vergaser geflutet sind. Eine orange Lampe verrät, dass die Pumpe arbeitet, warum deren Surren allein aber nicht reicht, wird nach den ersten Zündungen klar. Der kurze Auspuff, auf der Fahrerseite unter den Schweller gehängt wie eine Dachrinne, lässt keinen Zweifel, wo der Effeffe akustisch angesiedelt werden kann: auf einem Rennplatz der 1960er-Jahre. Viel mag sich dem Abgasstrom nicht in die Quere stellen. Die Komposition aber sitzt perfekt, es ist die reine Freude.
Noch etwas widerwillig nimmt der Motor Gas an, ich sitze neben dem Erbauer dieses Wagens, ein eigenartiges Gefühl. Der Verstand sagt mir zwar, dass dies alles absolut real ist, das Gefühl aber funkt stets mit Bildern einer Fabrik dazwischen, Roboter, Grossserie, anonym. Hier begebe ich mich aber in jederlei Hinsicht in die Hände jenes Menschen, der schuld daran ist, dass es überhaupt dazu gekommen ist. Die Berlinetta stürmt unter lautem Grollen auf die Superstrada in Richtung Comersee, es ist früh am Morgen, die Luft ist kühl, ein kurzer Zwischenhalt an der Tankstelle lässt etwa vierzig Liter Benzin ihren Behälter wechseln. Ich kann mir kaum eine schönere Art denken, fossilen Treibstoff in Abgase und Vorwärtsbewegung zu verwandeln. Dazu soll man stehen.
Es fällt auf, dass der Effeffe zwar satt auf der Strasse sitzt, aber die Aufhängungen geschmeidig wirken und die zum Teil beschädigte Strassenoberfläche die Barchetta kaum je bis ins Mark erschüttern lässt. Das Konzept erinnert an einen Lotus Elan, der es sich leisten konnte, mit reichlich Aufbaubewegungen durch die Gegend zu fahren, sein geringes Gewicht brauchte nicht mit knallharten Federn und straffer Dämpfung im Zaum gehalten zu werden. Die sehr saubere Radführung, besonders auch durch die spur- und sturzkonstante Hinterachse, trägt das Ihre dazu bei.
Etwa zwölf Autos könnte Effeffe pro Jahr bauen, eine Barchetta mit Turbomotor und Einzelradaufhängung mit Transaxle-Getriebe einer Alfetta steht im Bau, der GT ebenso. Knapp 400 000 Euro kostet eine Berlinetta. Dazu gibt es Bestrebungen, sie auch in der Schweiz zu homologieren, allerdings mit einem anderen Motor.
Manch einer träumt vom eigenen Auto, einige davon schaffen es auch an eine Messe. Der Effeffe aber ist real, funktioniert, ist ausgereift und bleibt seinen guten Vorsätzen tatsächlich treu. Dass dies überhaupt noch möglich ist, grenzt an ein Wunder. Wie nennt das Leonardo Frigerio nochmals? «Ideen zu Objekten werden lassen.»
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